[:de]«Pilger der Wissenschaft»: Die erste schweizerische Himalaya-Expedition von 1936[:en]‘The Pilgrims of Science’: The First Swiss Himalayan Expedition of 1936[:]

[:de]Im Jahr 1936 brach Augusto Gansser (1910-2012) gemeinsam mit Arnold Heim (1882-1965), einem weiteren Schweizer Geologen, zur ersten schweizerischen Himalaya-Expedition auf, die acht Monate dauern sollte. Während der Expedition führte sowohl Heim als auch Gansser ein detailliertes Tagebuch, das später die Grundlage für den Reisebericht Thron der Götter (1938) und den Forschungsband Central Himalaya: Geological Observations of the Swiss Expedition 1936 (1939) bildete.

1-Gansser,Heim, Sherpas

Abbildung 1: Lager am Chidamu auf 4500 Meter. Von links nach rechts: Sherpa Paldin, A.Gansser, A.Heim, Sherpa Kali, Sherpa Kirken (6. August 1936)

Gansser und Heim waren nicht nur fleissige Autoren, die jedes noch so kleine Detail auf ihrem Weg notierten, sondern sie dokumentierten ihre Expedition auch mit zahlreichen geologischen Skizzen und Fotografien, die ebenfalls Eingang in den Reisebericht fanden. Hervorzuheben ist, dass die Erstellung der sorgfältig gezeichneten Skizzen und der hervorragenden Fotografien viel künstlerisches Talent und Hingabe erforderten.

Ebenfalls bei der Expedition dabei waren 30 Dhotial-Träger aus Nepal, die drei Sherpas Kali, Paldin und Kirken (Abb.2) sowie ein indischer Kochjunge.

Paldin, Kali, Kirken

Abbildung 2: Von links nach rechts: die Sherpas Paldin, Kali und Kirken (Bild A.Heim, 21. August 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-080)

Im Himalaya gab es eine Vielzahl unerforschter Gebiete, die es zu erkunden galt und in denen man als Pionier der Region möglicherweise wichtige Entdeckungen machen konnte. Wie Heim selbst anmerkte, hatte ein in alpinen Techniken bereits versierter Geologe eine gute Chance, einige der grundlegenden Fragen der Gebirgsstruktur zu lösen (Gansser, Heim 1939: vii). Überdies befanden sich im Himalaya die höchsten Gebirgsketten der Welt, was das Interesse und das Prestige des Unterfangens noch zusätzlich steigerte. So erfuhr die schweizerische Himalaya-Expedition von 1936 auch erheblichen Zuspruch durch das Zentralkomitee der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft.

Die von Gansser und Heim erforschten Gebiete befanden sich im zentralen indischen Himalaya an der Grenze zu Nepal und Tibet. Bei der Erkundung des Kali-Tals an der indisch-nepalesischen Grenze entdeckte Gansser die Bruchlinie des Himalaya-Gebirgssockels, die er später Main Central Thrust nannte.

Sabu Sattel. Gansser mit unseren drei Sherpas bei der Besteigung

Abbildung 3. A. Gansser mit den Sherpas Paldin, Kali und Kirken, bereit zum Aufstieg nach Sabu, Tibet (Bild A.Heim, 28. Mai 1936), ETH-Bibliothek, Bildarchiv (Hs_0494b-0034-001-F)

Gansser und Heim begannen die Expedition auf indischem Gebiet, das damals unter britischer Herrschaft stand. Später aber drang Gansser zur geologischen Erkundung der Region in Bereiche Nepals und Tibets vor, die zu betreten verboten war. Ein denkwürdiger Augenblick der Expedition: Gansser hatte sich als tibetischer Lama verkleidet (Abb. 4) und überquerte die Grenze nach Tibet, um den heiligen Berg Kailash zu erkunden. Bei seiner Rückkehr hatte er wichtige Daten über die Geologie des Kailash gesammelt.

Augusto Gansser aus Tibet zurück

Abbildung 4. A.Gansser, als tibetischer Pilger verkleidet (Bild A.Heim, 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_022-005)

Zu jener Zeit war es nur einer Handvoll Europäer je gelungen, mit einer Sondererlaubnis der tibetischen Regierung den Kailash in Augenschein zu nehmen, der als heiligste aller Pilgerstätten galt. Allen anderen war der Zugang nach Tibet und zum Kailash streng untersagt, das Sammeln von Gesteinsproben galt als Sakrileg, und wäre Gansser erwischt worden, hätte er mit einer Festnahme rechnen müssen. Gansser trug einen roten Kaftan aus Schaffell, unter dem er seine Kamera, geologische Instrumente und die unterwegs gesammelten Gesteinsproben verbarg. Hinter einem Felsen versteckt, machte er heimlich eine Aufnahme des Kailash (Abb. 5), durch die man in Europa zum ersten Mal den verbotenen Berg zu Gesicht bekam (Gansser, Heim 1939: 90-111).

Kailas 6700 m

                   Abbildung 5: Nordwand des Kailash – heilige Pilgerstätte, Tibet (Bild A.Gansser, 4. Juli 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-091)

Erkennbar werden zwei entgegengesetzte Sichtweisen des Himalaya: Für die Nepalesen und Tibeter waren die Berge der Ort, wo die Götter lebten und herrschten (Gansser, Heim 1939: vii; daher der Titel Thron der Götter). Wie die Schweizer den Himalaya sahen, lässt sich vielleicht am ehesten mit einer Formulierung von Heim zusammenfassen, der sich selbst und Gansser als «Pilger der Wissenschaft» bezeichnete, die sich den gewaltigen Massiven keineswegs mit weniger Ehrerbietung näherten (Gansser, Heim 1939, viii). Ihr vornehmliches Ziel ist zwar, das Geheimnis hinter der geologischen Formation der Himalaya-Region zu lüften, und doch sind sie voller Ehrfurcht im Angesicht der majestätischen Gipfel – gleich einem Pilger, der beim Erreichen der heiligsten Stätten von Ehrfurcht erfüllt ist.

Was mich am meisten interessierte, ist die Art der Interaktionen zwischen den Schweizer Geologen und den Menschen vor Ort, denen sie in einer Zeit begegneten, als der Kolonialismus noch existierte, wenngleich sein Ende nahe war. War es möglich, dass Gansser und Heim in der Region als Vertreter kolonialer Macht gesehen wurden? Diese Frage mag paradox erscheinen, da die Schweiz nie Kolonialmacht war und Nepal nie eine Kolonie. Es war jedoch ihr Wunsch, ‚unermessliche und unbezwungene Gipfel zu erobern‘ (Gansser, Heim 1939: 61), der Gansser und Heim in den Himalaya führte, was der kolonialen Sichtweise des Erkundens und Vordringens ins Unbekannte durchaus ähnlich war. Wie P. Purtschet ausführt, war das Bergsteigen, das wesentlich für die Herausbildung einer nationalen schweizerischen Identität wurde, eng verbunden mit dem Kolonialismus und den kolonialen Fantasien, die die Weltsicht der Schweizer prägten (vgl. Purtschert 2015: 4).

Eine genauere Betrachtung des Reiseberichts zeigt, dass die Beschreibungen der äußerlichen Erscheinung der Menschen vor Ort häufig Formulierungen enthalten, die ihre asiatische Herkunft hervorheben, so beispielsweise ‚ein dunkelhäutiger indischer Kochjunge‘ oder die ‚Träger mit brauner Hautfarbe‘ (Gansser, Heim 1939: 22-23). Ebenso werden die Bhotias als ‚mongoloider Stamm‘ mit ‚stark vorstehenden Wangenknochen…, dessen Haut braun ist‘, beschrieben (Gansser, Heim 1939: 28). Demgegenüber nennt Gansser sich selbst einen ‚einzelnen weissen Reisenden im unbekannten Nepal‘ (Gansser, Heim 1939: 67) und betont damit den Unterschied der Hautfarbe zwischen sich und der lokalen Bevölkerung. Die schweizerische Expedition von 1936 ist darin keine Ausnahme, sondern lediglich ein Beispiel von vielen. Auch in Berichten von einer Mount-Everest-Expedition aus dem Jahr 1952 sind viele Beschreibungen der physischen Merkmale der lokalen Bevölkerung enthalten, die eine Einordnung in Rassenkategorien darstellen und damit bestimmte orientalistische Stereotypen bedienen, wie P. Purtschert deutlich macht (vgl. Purtschert 2015: 185-186).

Rücktransport Weckerts

Abbildung 6: Der kranke Werner Weckert wird von Trägern zum Spital nach Almora gebracht (Bild A.Heim, 28. April 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-074)

Der Reisebericht selbst ist von der kolonialen Sichtweise geprägt: Abenteuergeschichten, erzählt aus der Perspektive eines Pioniers und Entdeckers und angereichert um einige Dutzend exotischer Bilder von Einheimischen, ganz wie es dem Geschmack der Öffentlichkeit entsprach. Anfänglich sollte auch der Schweizer Bergsteiger Werner Weckert an der Expedition teilnehmen, musste jedoch am dritten Tag mit einer Blinddarmentzündung das Unterfangen abbrechen. Obwohl es sich um einen Notfall handelte, bedient sich die Aufnahme von Heim (Abb. 6) unbewusst einer kolonialen Bildersprache: Vier Träger in zerlumpter Kleidung und ohne Schuhe tragen einen Europäer in einer Sänfte. Demnach ist es durchaus möglich, dass die Schweizer Geologen orientalistische Stereotypen befördert haben und damit zur Ausbreitung der kolonialen Sichtweise in der Schweiz beitrugen.

Verwendete Literatur:

Gansser, August and Heim, Arnold (1939): The Throne of the Gods [dt. Thron der Götter]: An account of the First Swiss Expedition to the Himalayas, translated by Eden and Cedar Paul, New York, Macmillan Company.

Purtschert, Patricia: “From ‘Native’ Alpine Guides to Foreign ‘Sahibs’ in the Himalayas”. In Colonial Switzerland: Rethinking Colonialism from the Margins, herausgegeben von Patricia Purtschert und Harald Fischer-Tiné. London: Palgrave Macmillan UK, 2015, S. 179-99.

Die Fotografie in Abbildung 1 wurde gescannt aus: “The Throne of the Gods: An account of the First Swiss Expedition to the Himalayas”, by A.Gansser, A.Heim (1939): New York, Macmillan Company.

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars Collections in Context: What Do Historians and Scientists Learn from Butterflies, Stones, and Bones?HS 2016, Leitung Bernhard C. Schär und Michael Greeff.[:en]In 1936 Augusto Gansser (1910-2012) joined another Swiss geologist Arnold Heim (1882-1965) for the first Swiss expedition to the Himalayas that lasted for eight months.  During the expedition both Heim and Gansser kept detailed diaries which later became a basis for their travelogue “The Throne of the Gods” (1938) and a research volume “Central Himalaya: Geological Observations of the Swiss Expedition 1936” (1939).

1-Gansser,Heim, Sherpas

Figure 1. Camp at Chidamu, 4500 meters. From left to right: Sherpa Paldin, A.Gansser, A.Heim, Sherpa Kali, Sherpa Kirken (August 6, 1936)

Not only were Gansser and Heim prolific writers noting every minute detail on their way but also documented their expedition with multiple geological sketches and photographs that also made their way into the travelogue. One must note that their painstakingly drawn sketches and outstanding photographs require artistic talent and dedication.

The expedition included 30 Dhotial porters from Nepal, 3 Sherpas Kali, Paldin and Kirken (fig.2), and an Indian boy cook.

Paldin, Kali, Kirken

Figure 2. From left to right: Sherpas Paldin, Kali and Kirken (by A.Heim August 21, 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-080)

The Himalayas offered a plethora of unexplored territories to venture into, and potentially make important discoveries as pioneers of that region. As Heim puts it himself ‘a geologist already versed in Alpine technology had a good chance of solving some of the basic problems of mountain structure’ (Gansser, Heim 1939: vii). Besides, Himalayas were the highest mountain range in the world, which only added to the interest and prestige of this enterprise. Thus, the 1936 Swiss Himalayan expedition was greatly encouraged by the Central Committee of the Swiss Scientific Society.

The areas Gansser and Heim studied were in the Central Himalayas of India on the border between Nepal and Tibet. While exploring the Kali valley on the India-Nepal border Gansser identified Himalaya’s basement rupture line what he later called the Main Central Thrust.

Sabu Sattel. Gansser mit unseren drei Sherpas bei der Besteigung

Figure 3. A. Gansser with Sherpas Paldin, Kali and Kirken, ready to climb Sabu, Tibet (by A.Heim May 28, 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Hs_0494b-0034-001-F)

Gansser and Heim began their expedition from territories in India that were under British rule but later Gansser ventured into forbidden territories of Nepal and Tibet to explore the geology of the region. The memorable point of the expedition was when Gansser, disguised as a Tibetan lama (fig. 4), trespassed into Tibet to explore the mountain Kailash and brought back important data on geology of Kailash.

Augusto Gansser aus Tibet zurück

Figure 4. A. Gansser dressed as Tibetan pilgrim (by A.Heim 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_022-005)

At that time only a handful of Europeans with special permission of Tibetan government managed to see Kailash, considered the most sacred site of pilgrimage. To the rest, the entry into Tibet and Kailash was strictly forbidden, collecting rock samples was sacrilege; if Gansser was caught, he would have been arrested. He wore a red sheepskin caftan under which he had hidden his camera, geological instruments and rock samples he collected from the area. Hiding behind a rock, Gansser secretly took a picture of Kailash (fig. 5) that allowed Europeans for the first time to have a glimpse of the forbidden mountain (Gansser, Heim 1939: 90-111).

Kailas 6700 m

          Figure 5. North face of mountain Kailash – sacred site of pilgrimage, Tibet (by A.Gansser July 4, 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-091)

One comes across two opposite perceptions of the Himalayas: Nepalese and Tibetans saw the mountains as a place where ‘the gods live and reign’ (Gansser, Heim 1939: vii), (hence the name “The Throne of the Gods”). Perhaps, the way Swiss geologists perceived the Himalayas can be best summarised by quoting Heim, as he calls himself and Gansser ‘the pilgrims of science’, who ‘approached those stupendous masses with no less reverence’ (Gansser, Heim 1939: viii). Their primary goal is to uncover mysteries behind the geological formation of the Himalayan region but they are in awe with those majestic peaks as perhaps the pilgrim can be in awe with the holiest of sites.

The main issue that interested me is the nature of interactions between Swiss geologists and the local people they came in contact with in the age when colonialism still existed although was approaching its end. Could Gansser and Heim be seen as representatives of colonial power in the region? It might look like a paradoxical question to ask since Switzerland was never a colonial power and Nepal was never a colony. But it is the desire ‘to conquer the unmeasured and unclimbed peaks’ (Gansser, Heim 1939: 61) that brought Gansser and Heim to Himalayas, which greatly parallels with colonial perspective of exploration and expansion into unknown lands. As P. Purtschet describes, mountaineering which became crucial for Swiss national identity formation, was in fact closely linked to colonialism and ‘colonial fantasies’ that shaped world views in Switzerland (cf. Purtschert 2015: 4).

Closer examination of the travelogue revealed that descriptions of physical appearances of local people would often contain references evoking their Asian ethnicity – ‘a dark-skinned Indian boy cook’, ‘brown-skinned porters’ (Gansser, Heim 1939: 22-23), or Bhotias are described as a ‘Mongoloid tribe’ with ‘very prominent cheek-bones… their skin is brown’ (Gansser, Heim 1939: 28). On the other hand, Gansser calls himself ‘a solitary white traveller in unknown Nepal’ (Gansser, Heim 1939: 67), thus emphasizing the difference of skin colour between himself and local inhabitants. In fact, 1936 Swiss expedition is not an exception, but only one example among many. Reports from 1952 Mount Everest expedition contained many descriptions of local population’s physical characteristics which placed them into racial categories and pushed certain Orientalist stereotypes, as P.Purtschert points out (cf. Purtschert 2015: 185-186).

Rücktransport Weckerts

Figure 6: Sick Werner Weckert is carried by porters to hospital in Almora (by A.Heim, April 28, 1936), ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Dia_021-074)

The travelogue itself is infused with colonial perspective –adventurous stories narrated from a point of view of a pioneer-explorer filled with several dozens of exotic images of local inhabitants, for which the public had an appetite. Initially, Swiss mountaineer Werner Weckert was to join the expedition as well but had fallen ill with appendicitis on the third day of the expedition. Although these were emergency circumstances, still the picture taken by Heim (fig.6) inadvertently evokes the colonial imagery: four porters, barefooted, dressed in ragged clothes carry a European man in a sitting chair. Therefore, Swiss geologists could have promoted orientalist stereotypes, thus contributing to spreading of  a colonial perspective in Switzerland.

 

References:

Gansser, August and Heim, Arnold (1939): The Throne of the Gods: An account of the First Swiss Expedition to the Himalayas, [translated by Eden and Cedar Paul], New York, Macmillan Company.

Purtschert, Patricia: “From ‘Native’ Alpine Guides to Foreign ‘Sahibs’ in the Himalayas”. In Colonial Switzerland: Rethinking Colonialism from the Margins, herausgegeben von Patricia Purtschert und Harald Fischer-Tiné. London: Palgrave Macmillan UK, 2015, S. 179-99.

Photographic images in figures 1 scanned from “The Throne of the Gods: An account of the First Swiss Expedition to the Himalayas”, [translated by Eden and Cedar Paul], by A.Gansser, A.Heim (1939): New York, Macmillan Company.

 

This article was written as part of the seminar Collections in Context: What Do Historians and Scientists Learn from Butterflies, Stones, and Bones?, Fall Semester 2016, hosted by Bernhard C. Schär and Michael Greeff.[:]

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