[:de]Walter Mittelholzer als Touristikunternehmer[:en]Walter Mittelholzer, tour operator[:]

[:de]Der kommerzielle Flugverkehr für Touristen setzte in Europa nach dem ersten Weltkrieg im Jahr 1919 ein. In der Schweiz führten die treibenden Kräfte der Schweizer Fluggesellschaft Ad Astra Aero AG Walter Mittelholzer und Alfred Comte seit den frühen 1920er-Jahren Touristenflüge in den Alpen aus. Da diese in den Wintermonaten eingestellt wurden, kamen für Mittelholzer die zwei Touristenflüge nach Afrika von 1929/30 und 1930/31 sehr gelegen. Er konnte damit nicht nur die müssige Winterzeit sinnvoll verbringen, sondern auch das Geschäftsergebnis seines Flugunternehmens markant verbessern.

Der Kilimandjaroflug, 15.12.1929-28.02.1930

Der Kilimandjaroflug wurde angeregt und finanziert durch den Bankier Baron Louis von Rothschild, der im wildreichsten Gebiet der Erde, der Serengeti-Steppe, eine Jagdexpedition unternehmen wollte. Das Buch Kilimandjaroflug widmet Mittelholzer dem Sponsor: “Herrn Baron Louis von Rothschild, der mir durch seinen Jagdflug die erste Überfliegung des Kilimandjaro ermöglichte.” In seinem Reisebericht schreibt der Pilot:

Wer einmal dem eigenartigen Zauber Afrikas verfallen war, den zieht es immer wieder in dieses Land der unendlichen Weiten und der goldenen Freiheit zurück. Begreiflich daher, dass ich eine Anfrage Baron Louis von Rothschilds (Wien), ob ich geneigt sei, ihn mit drei Jagdfreunden im Winter 1929/30 in kürzester Zeit von Kairo nach dem Kilimandjaro-Gebiet zu fliegen, mit einem freudigen Ja beantwortete (Kilimandjaroflug, S. 12).

Für die Planung der Expedition zog Mittelholzer den seit Jahren in Afrika tätigen britischen Jäger George Wood bei. Nachdem bei den italienischen, französischen, englischen und ägyptischen Behörden die Einflugerlaubnis vorlag und die Etappenplätze mit Öl- und Benzinnachschub organisiert waren, konnte es losgehen. Das gewählte Flugzeug, eine Fokker F-VIIb mit dem Namen Switzerland III, stand seit dem Frühjahr 1929 im Dienst der Schweizerischen Luftverkehrsgesellschaft Ad Astra Aero in Zürich. Mittelholzer startete am 15. Dezember 1929 zusammen mit Alfred Künzle in Dübendorf und flog über Catania, Benghasi, Kairo, Khartum, Mongalla nach Nairobi. Von dort aus und einem Camp, das eigens von einer englischen Firma 240 Kilometer südwestlich von Nairobi aufgestellt worden war, unternahm die Jagdgesellschaft vierzehn Exkursionsflüge, unter anderem zum Mount Kenya (Erstüberfliegung), in die Serengeti sowie zum Kilimandjaro mit dessen höchstem Gipfel Kibo (Erstüberfliegung). Jagdausflüge wurden auch per Auto unternommen, so etwa an einem “taufrischen Januarmorgen”:

Um 10 Uhr fahren wir mit zwei Personenautos und drei Lastwagen mit 25 Boys von unserem Camp aus durch das hohe Gras, hie und da kleine von Akazien und Phönixpalmen umstandene Bachläufe traversierend, hinaus in die Steppe nach Südosten. […] Jetzt sehen auch wir die Löwen. […] Aus hundert Schritten Distanz schiesst Baron Rothschild […] Das getroffene Tier springt auf, macht ein paar Sätze und tut sich schwer verwundet nieder […] Wir folgen ihm, das Gewehr unter dem Arm, ich mit der Kamera. Jetzt erblickt er uns, und laut aufbrüllend peitscht er den Boden mit dem Schwanz. Wir alle sind fasziniert. Es ist der erste Löwe, den wir in freier Wildbahn so nah vor uns haben. Voll Spannung erwarten wir das Kommende (Kilimandjaroflug, S. 65).

 Jäger mit geschossenem Löwe

Walter Mittelholzer: Jäger mit geschossenem Löwen, links Baron Louis von Rothschild, 1930 (LBS_MH02-07-0369)

Menschen fühlten sich schon immer von der Natur angezogen und sie bereisten abgelegene Gegenden seit Jahrhunderten. Auch die Grosswildjagd hat in Afrika eine lange Geschichte. Das Wort “Safari” kam auch in Europa in Mode, nachdem der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt 1909 eine Expedition nach Ostafrika unternommen hatte. Um 1930 war die Durchführung von Safaris sogar zu einer seltenen afrikanisch-europäischen Synthese herangereift (vgl. Steinhart, S. 113-114). Das von Mittelholzer geschilderte Safarierlebnis enthält neben der üblichen Überlegenheitspose alle Elemente des modernen Erlebnistourismus: Die Instrumentalisierung der lokalen Einwohner als Hilfspersonal (“Boys”), das Abenteuer, die Begegnung mit dem Wilden und Ungezähmten, das noch nie Erlebte und den damit verbundenen Nervenkitzel. Die Geschehnisse werden minutiös fotografisch festgehalten, damit die wertvollen Augenblicke auch in Zukunft immer wieder nacherlebt werden können. Das ‘Schiessen’ des Erinnerungsbildes nach dem ‘Erschiessen’ des Tiers ist ebenso wie das Sammeln von Jagdtrophäen eine typisch touristische Geste.

Der Tschadseeflug, 02.12.1930-23.01.1931

Wie beim Kilimandjaroflug handelt es sich beim Tschadseeflug um einen vom Auftraggeber bezahlten Touristenflug, diesmal für den amerikanischen Geschäftsmann und Abenteurer Kingsley Macomber. Der Flug mit einer dreimotorigen Fokker F-VIIb-3m führte die Reisegesellschaft von Zürich über Spanien, Marokko über den Atlas nach der Sahara. Nach deren Überquerung flog man weiter über den Niger nach Senegal. Von dort ging es schliesslich zurück gegen Norden der afrikanischen Küste nach wieder über Spanien und Frankreich Richtung Heimat. Nicht ohne Stolz notiert Mittelholzer in Marrakesch, dass die Stadt noch nicht zu denen gehört, ” … die europäische Reisegesellschaften pflichtgemäss bewundern gehen (Tschadseeflug, S. 35).” Er fotografiert emsig am Boden und aus der Luft, während sein Gast die Reise geniesst:

In unbekümmerter Fröhlichkeit sitzt Mr. Macomber in seinem Kabinenfauteuil. Dass er durch und durch modern ist, ist sein wesentlichster Zug. Das Fliegen ist ihm ein Mittel, angenehmer zu leben und von den täglichen und anstrengenden Finanzobliegenheiten Entspannung und neue Kraft zu finden (Tschadseeflug, S. 59).

Unser Fluggast Mr. Macomber während der Traverse über das Mitt

Walter Mittelholzer: Unser Fluggast Mr. Macomber während der Traverse über das Mittelmeer (LBS_MH02-08-0707)

Macomber war privilegiert, denn nur wenige sehr begüterte Leute konnten sich eine solche Reise damals leisten. Er suchte Erlebnisse, die über seine Alltagserfahrungen hinausgingen und war damit der Prototyp eines Touristen und damit eines der besten Modelle für den modernen Menschen überhaupt (vgl. MacCannell, S. 1). Nach dem Tschadseeflug und auf der Heimreise bei der Landung in Casablanca zeigt sich auch Mittelholzer sichtlich erholt:

Und dann — sind wir nach glatter Landung wieder mitten in der lärmenden, jagenden Städtehast. Man stürzt sich auf die Zeitungen und legt sie enttäuscht wieder beiseite. Wir finden nach unserem afrikanischen Erleben nichts unwichtiger und langweiliger, als die Ereignisse in der grossen Welt (Tschadseeflug, S. 107).

Am 23.01.1931 mit der Landung in Zürich war die Pauschalreise zum Tschadsee zu Ende. Am 17. März 1931 beschloss die Generalversammlung der Ad Astra auf Druck des Bundes die Auflösung der Firma und die Fusion mit der Balair zur Swissair rückwirkend per 31. Dezember 1930. Mittelholzer amtete als deren technischer Direktor und leitete gleichzeitig die  Ad Astra Photo AG (ab 1931 Swissair Photo) bis zu seinem tragischen Unfalltod im Jahr 1937. Für die Schweiz hatte die Zeit des globalen Tourismus begonnen.

Literatur

MacCannell, Dean: The Tourist, A New Theory of the Leisure Class, New York 1976

Ruoss, Hugo: 100 Jahre Luftfahrt in der Schweiz: unsere schweizerischen Flugpioniere, Kloten, 2012

Steinhart, Edward I.: Black Poachers: A Social History of Hunting in Colonial Kenya, Oxford, 2006

Mittelholzer, Walter: Kilimanjaroflug, Zürich, Orell Füssli Verlag, 1930

Mittelholzer, Walter: Tschadseeflug, Verlag Schweizer Aero Revue Zürich, 1932

Zu den Themen Kolonialismus, Pauschalreisen, Jagd und Beginn des globalen Tourismus siehe das entsprechende Kapitel in:

Zuelow, Eric G.E.: A History of Modern Tourism, London: Macmillan, 2016, S. 95-102.[:en]Commercial air travel for tourists began in Europe after the First World War in 1919. In Switzerland, Walter Mittelholzer and Alfred Comte, the driving forces behind the Swiss airline company Ad Astra Aero AG, started conducting tourist flights to the Alps in the early 1920s. As these ceased in the winter months, two tourist flights to Africa in 1929/30 and 1930/31 were just what the doctor ordered for Mittelholzer. Not only did they enable him to put the idle winter season to good use; they also flushed money into the airliner’s coffers.

The Kilimanjaro flight, 15.12.1929 – 28.02.1930

The Kilimanjaro flight was proposed and funded by the banker Baron Louis von Rothschild, who was looking to undertake a hunting expedition to the Serengeti plain, the richest area in the world for big game. Mittelholzer dedicated his book Kilimandjaroflug to the flight’s patron: “For Mr Baron Louis von Rothschild, who made my first flight over Kilimanjaro possible thanks to his hunting trip.” In his travelogue, the pilot writes:

Anyone who has fallen under Africa’s unique spell will always feel the pull of this land of endless expanses and golden freedom; presumably the reason why, when Baron Louis von Rothschild (Vienna) asked whether I would be inclined to fly him and three hunting friends to the Kilimanjaro area from Cairo at very short notice in the winter of 1929/30, I answered with a gleeful “yes”. (Kilimandjaroflug, p. 12)

While planning the expedition, Mittelholzer enlisted the help of George Wood, a British hunter who had been working in Africa for years. Once the entry clearance had been submitted to the Italian, French, British and Egyptian authorities, and the stops to stock up on petrol and oil supplies had been organised, the party was ready for take-off. The aircraft selected, a Fokker F-VIIb christened Switzerland III, had been in the service of the Swiss airline company Ad Astra Aero in Zurich since the spring of 1929. Finally, on 15 December 1929, Mittelholzer took off in Dübendorf together with Alfred Künzle and flew over Catania, Benghazi, Cairo, Khartoum and Mongalla to Nairobi. From the Kenyan capital and a camp set up especially by a British company 240 kilometres southwest of the city, the hunting party conducted fourteen flights, including to Mount Kenya (first flyover), the Serengeti and Kilimanjaro with its highest peak Kibo (first flyover). Hunting excursions were also made by car, such as on one “dewy January morning”:

We leave our camp at ten o’clock with twenty-five boys in two cars and three lorries and drive through the tall grass, every so often traversing streams flanked with acacias and phoenix palms, before heading southeastwards out into the plains. […] Now we see the lions, too. […] Baron Rothschild fires from a range of one hundred paces. […] The animal leaps up and makes a few bounds before collapsing again badly wounded. […] We follow him, our rifles under our arms; me armed with my camera. Suddenly, he spots us, whips the ground with his tail and lets out a roar. We are all mesmerised. He is the first lion we have seen at such close quarters in the wild. On tenterhooks, we await what will happen next. (Kilimandjaroflug, p. 65).

 Jäger mit geschossenem Löwe

Walter Mittelholzer: hunters with their kill, Baron Louis von Rothschild on the left,  1930 (LBS_MH02-07-0369)

We humans have always felt drawn to nature and been travelling to remote regions for centuries. Big-game hunting also has a long history in Africa. The word “safari” came into fashion in Europe after the American President Theodore Roosevelt embarked on an expedition to East Africa in 1909. In around 1930, organising safaris had even blossomed into a rare Afro-European fusion (cf. Steinhart, pp. 113-114). Apart from the usual air of superiority, the safari experience portrayed by Mittelholzer contained all the elements of modern thrill-seeking tourism: the use of the local population as support staff (“boys”); adventure; the encounter with the wild and the untamed; new, first-time experiences; and the associated frisson of excitement. Experiences are documented meticulously on camera so the valuable snapshots in time can be relived over and over again in the future. The ‘shooting’ of the souvenir photo after the killing of the animal is like the collection of trophies a typical gesture of the tourist.

The Lake Chad flight, 02.12.1930 – 23.01.1931

Like the Kilimanjaro flight, the Lake Chad flight was a tourist expedition funded by the client, this time the American businessman and adventurer Kingsley Macomber. The flight in a triple-engine Fokker F-VIIb-3m took the travel party over Spain, Morocco and the Atlas Mountains to the Sahara Desert. The flightpath then continued over the Niger to Senegal, before heading northwards again to the African coast, back over Spain and France towards home. It was not without a certain pride, Mittelholzer noted in Marrakech that the city was not yet one that “… European tourist parties feel duty-bound to go and admire.” (Tschadseeflug, p. 35). He industriously took photographs from the ground and air while his passenger enjoyed the ride:

Mr Macomber is sitting in his cabin armchair without a care in the world. The fact that he is quintessentially modern is his principle trait. To him, flying is a means to live more pleasurably, find relaxation and recuperate from his daily and arduous financial obligations. (Tschadseeflug, p. 59).

Unser Fluggast Mr. Macomber während der Traverse über das Mitt

Walter Mittelholzer: our guest Kingsley Macomber on board as we fly over the Mediterranean (LBS_MH02-08-0707)

Macomber was privileged, for only a handful of extremely affluent people could afford such a trip in those days. As he sought experiences outside the confines of his everyday practices, he was a prototype of a tourist and thus one of the best models for the modern human around (cf. MacCannell, p. 1). After the flight to Lake Chad and while landing in Casablanca on the journey home, Mittelholzer was also obviously refreshed:

And then, after a smooth landing, we were back in the heart of the noisy hustle and bustle of the city. One dives into the newspapers and casts them aside again in disappointment. After our African adventure, we find nothing more insignificant and tedious that the events of the big, wide world. (Tschadseeflug, p. 107).

The package tour to Lake Chad drew to a close when the plane touched down in Zurich on 23 January 1931. Barely two months later, on 17 March, the Ad Astra General Meeting decided, under pressure from the government, to dissolve the company and merge with Balair to form Swissair retrospectively as of 31 December 1930. Mittelholzer served as technical director and ran Ad Astra Photo AG (from 1934 Swissair Photo) until his tragic death in a climbing accident in 1937. For Switzerland, however, the age of global tourism had begun.

References

MacCannell, Dean: The Tourist, A New Theory of the Leisure Class, New York 1976

Ruoss, Hugo: 100 Jahre Luftfahrt in der Schweiz: unsere schweizerischen Flugpioniere, Kloten, 2012

Steinhart, Edward I.: Black Poachers: A Social History of Hunting in Colonial Kenya, Oxford, 2006

Mittelholzer, Walter: Kilimanjaroflug, Zurich, Orell Füssli Verlag, 1930

Mittelholzer, Walter: Tschadseeflug, Verlag Schweizer Aero Revue Zurich, 1932

On the topic of colonialism, package tours, hunting and the beginning of global tourism, see the corresponding chapter in:

Zuelow, Eric G.E.: A History of Modern Tourism, London: Macmillan, 2016, pp. 95-102.[:]

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