Schlechte Unterrichtsbeurteilungen für innovativen Unterricht?

Unterricht

“Mit viel Engagement habe ich meine Lehrveranstaltung nach neuesten didaktischen Erkenntnissen umgestaltet. Sei es im Flipped Classroom oder mit erhöhtem Einsatz von Clicker-Fragen, die Studierenden waren während der Präsenz aktiv gefordert und haben auch gerne mitgemacht. Doch mit der Unterrichtsbeurteilung kam die grosse Enttäuschung. Die Studierenden bewerten mich und meinen Unterricht deutlich schlechter als vorher. Sie bevorzugen sogar Frontalunterricht, denn damit würden sie besser lernen. Habe ich etwas falsch gemacht? Soll ich wieder zurück zu meiner altbewährten Vorlesung?”

Was hier wie ein Einzelfall klingt, ist doch sehr verbreitet. Zahlreiche Untersuchungen dokumentieren, dass Unterrichtsformen mit Lerner zentrierten Methoden häufig zu schlechten Evaluationsergebnissen führen (z.B. Seidel, 2013). In einer kürzlich publizierten Studie haben Louis Deslauriers und Kollegen/innen der Harvard University genau diese Problematik untersucht (Deslauriers, 2019). Sie gingen der Frage nach, ob es bei aktiv involvierten Studierenden eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen und dem empfundenen Lerngewinn gibt. Falls Studierende den Eindruck haben, weniger als in einer Vorlesung gelernt zu haben, dann führt dies zwangsläufig zu schlechteren Evaluationsergebnissen. Die experimentell angelegte Untersuchung bestätigte die negative Korrelation zwischen der Selbsteinschätzung und dem effektivem Lerngewinn. Folgende drei Gründe sind dafür verantwortlich:

  • Interaktive Unterrichtsmethoden verlangen eine erhöhte kognitive Leistung, die von Studierenden dann nicht unbedingt mit dem Lernen in Verbindung gesetzt wird.
  • Insbesondere Studienanfänger/innen verfügen noch nicht über die Fähigkeit, ihr eigenes Wissen in einem neuen Fachgebiet korrekt einzuschätzen.
  • Die klare und sprachgewandte Präsentation beim Frontalunterricht verleitet Studierende dazu, ihr eigenes Verständnis in Vorlesungen deutlich zu überschätzen.

Aufgrund der Ergebnisse einer Nachuntersuchung schlagen Delauriers und Kollegen/innen einige recht simple Massnahmen vor, um dieses Missverhältnis zwischen gefühltem und tatsächlichem Lerngewinn zu unterbinden. Zentral dabei ist, die Befürchtungen und Ängste der Studierenden ernst zu nehmen und sie zu thematisieren. So kann eine kurze Darlegung der Lernvorteile von aktivem Unterricht (z.B. Freeman, 2014) während der ersten Unterrichtsstunde bereits erste Befürchtungen auffangen. Aber auch im weiteren Verlauf der Veranstaltung sollte immer wieder auf den erzielten Lernfortschritt hingewiesen werden. Damit erlangen die Studierende eine bessere Einschätzung ihres eigenen Lerngewinns. Hilfreich ist zudem, auf die Gefahr der Lernillusion bei eloquenter Redegewandtheit des Dozierenden in Vorlesungen hinzuweisen (z.B. Toftness, 2018).

Auch an der ETH konnten wir den Einfluss dieser Massnahmen bestätigen. In einer Studie am Departement Physik verglichen wir den Lerngewinn zwischen interaktivem Unterricht und Vorlesung. Bereits in der ersten Lerneinheit wiesen wir die interaktive Gruppe ausführlich auf die positiven Auswirkungen des interaktiven Unterrichts hin. Zusätzlich wurden Unsicherheiten bezüglich des eigenen Lerngewinns im Semester kontinuierlich thematisiert. Bei der Unterrichtsevaluation konnten wir daraufhin kein Missverhältnis zwischen effektiver und geschätzter Lernleistung feststellen. Studierende im interaktiven Unterrichtsformat erzielten einen höheren Lerngewinn und gaben signifikant bessere Werte bezüglich ihres eigenen Lernens an als jene in der parallel durchgeführten Vorlesung (Schiltz, 2018).

Tipp:
Was hier jetzt speziell für interaktive Unterrichtsformen gilt, lässt sich sicher auch auf jeden anderen Wechsel der Lernform übertragen. Insbesondere wenn die neue Lernform noch nicht geläufig ist, sollte man die anfänglichen Bedenken der Studierenden ernst nehmen und ihnen klar vermitteln, welchen Nutzen sie vom Wechsel zu erwarten haben. Daneben ist es wichtig, Ergebnisse der Unterrichtsbeurteilung (ob gute oder schlechte) kritisch zu hinterfragen. Nicht immer ist der kausale Zusammenhang zwischen studentischer Zufriedenheit und tatsächlichem Lernerfolg gegeben (z.B. Carpenter, 2020).

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