A11y Update vom 12.6.2014

A11y steht für Accessibility, gestern lud die Stiftung „Zugang für all“ zum sechsten Mal zu einer solchen Veranstaltung ein. Im angenehm kühlen Credit Suisse Forum St. Peter trafen sich knapp 100 Interessierte, wobei der Frauenanteil für eine IT-Veranstaltung in der Schweiz überdurchschnittlich hoch war. Begrüsst wurden wir von Prof. Dr. A. Darvishy, dem Präsidenten der Fachgruppe ICT-Accessibility der Schweizer Informatikgesellschaft (SI).

Wie schon bei den vergangenen Veranstaltungen in dieser Reihe ging es in den Vorträgen nicht ausschliesslich um den barrierefreien Zugang zum Internet, sondern um ganz verschiedene Anstrengungen, die Lebensqualität unserer behinderten Mitmenschen mit technischen Hilfsmitteln zu verbessern.

Im Vortrag „Wie können Roboter in der Rehabilitation helfen?“ gab Prof. Dr.-Ing. Robert Riener vom Sensory-Motor Systems Lab der ETH Zürich erst einen kurzen Abriss über die Geschichte der Robotik. Dabei lernten wir, dass das Wort „Robotik“ aus dem tschechischen „Robota“ abgeleitet wurde, was „Arbeit“ bedeutet. Roboter werden dazu eingesetzt, Menschen von eintönigen, gefährlichen oder schweren Arbeiten zu entlasten. In der Rehabilitation ergänzen oder übernehmen Roboter vor allem lang andauernde, repetitive und anstrengende Arbeiten der Physiotherapeuten. Um die Patienten mehr zu motivieren, werden manche Therapien in ein Spiel integriert, sei es, dass mehrere Personen mit- oder gegeneinander antreten oder dass sie sich in einer virtuellen Umgebung bewegen, wo beispielsweise auch alltägliche Tätigkeiten geübt werden können. Bei Personen mit bleibenden Schädigungen können Roboter gewisse unterstützende Funktionen übernehmen, z.B. als aktive Prothese beim Gehen oder als Exoskelet wie gestern Abend beim Anstoss zur Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien durch eine querschnittgelähmte Person. Um die Entwicklung von Robotern in der Rehabilitation noch stärker voranzutreiben, findet 2016 in Kloten der Cybathlon statt, eine Meisterschaft für Roboter-unterstützte Parathleten.

Im zweiten Vortrag, gehalten von S. Roth, ICT-Accessibility Lab der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und von A. Seifert von der Universität Zürich, ging es um altersgerechte Webseitengestaltung. Damit auch ältere Menschen, welche beispielsweise mit der Feinmotorik Probleme haben oder welche nicht mehr so gut sehen, trotzdem eine Website nutzen können, sollte diese u.a. über eine genügend grosse Schrift mit genügend Zeilenabstand und hohem Kontrast verfügen. Der Auftritt sollte einheitlich und wohl strukturiert sein und die Navigation sollte einfach zu bedienen sein, ohne dass der Mauspfeil hochpräzis bewegt werden muss. Detaillierte Informationen zur altersgerechten Webseitengestaltung findet man in der Broschüre auf der Website ageweb.ch.

Unter dem Titel „Einfach Surfen – Niederschwelliger Zugang zum Internet für Menschen mit kognitiven Einschränkungen“ erläuterte France Santi von Insieme Schweiz, wie man Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten den Zugang zu einer Website erleichtern kann. Dabei sollten u.a. eine möglichst leicht verständliche Sprache und sinnvolle Piktogramme verwendet werden. Im Projekt „einfach Surfen“ geht es einerseits darum, systematisch wissenschaftlich fundierte Daten zum Handlungs- und Entwicklungsbedarf zu erheben und anderseits, Richtlinien zur Web-Accessibility für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in einer Pilotphase auf drei Websites exemplarisch umzusetzen und zu überprüfen, siehe „einfach Surfen„.

Nach der Pause präsentierten Sarah Ebling und Sandra Sidler-Miserez vom Institut für Computerlinguistik der Universität Zürich ihr Projekt „Trainslate – Automatische Übersetzung von deutschsprachigen Zugansagen in die Deutschschweizer Gebärdensprache„. Dabei geht es darum, Durchsagen in Bahnhöfen in einer App auf Smartphones durch einen Avatar in Gebärdensprache anzeigen zu lassen. Zwar werden Informationen über Verspätungen und Zugsausfälle meistens auch auf Anzeigetafeln in Textform zugänglich gemacht, aber viele Hörbehinderte haben auch Mühe mit Lesen. Zudem ist Gebärdensprache ein Teil der Kultur der Gehörlosen, deshalb möchte man Ihnen diese Informationen in ihrer Sprache anbieten. Allerdings wird die Situation durch die zahlreichen Dialekte der Gebärdensprache zusätzlich erschwert, alleine in der Deutschschweiz gibt es sechs verschiedene Dialekte. In diesem Projekt beschränkt man sich deshalb auf die Zürichdeutsche Gebärdensprache. Obwohl die Durchsagen stark standardisiert sind, mussten etwa 3000 Textblöcke in Gebärdensprache übersetzt werden. Erschwerend ist der Umstand, dass für gewisse Fachbegriffe wie Kante, Stellwerkstörung oder Fahrleitungsunterbruch keine Gebärden existieren, sie mussten neu festgelegt werden. Um eine automatische Übersetzung möglich zu machen, müssen die einzelnen Gebärden genau beschrieben werden. Dazu gehören aber nicht nur die Handbewegungen, sondern auch die Kopfhaltung, die Mimik und die Mundbewegungen. So legt beispielsweise der Gesichtsausdruck fest, ob es sich um eine Aussage oder eine Frage handelt. Zur Beschreibung der Gebärden wird die XML-basierte Sprache SiGML verwendet. Noch offen bei diesem Projekt ist die Umsetzung auf dem Smartphone. Zwar existiert auf dem Computer ein Avatar, welcher die Gebärden darstellen kann, aber ob die Informationen aktiv versendet oder abgeholt werden müssen, ist noch unklar.

Nicht nur hoch-interessant, sondern auch besonders humorvoll vorgetragen, war die Präsentation von Prof. Dr. A. Darvishy, diesmal in der Funktion als Mitglied im Projekt „ATMfutura – Flächendeckende Sprechende Geldautomaten in der Schweiz“. In diesem Projekt haben sich fast alle führenden Finanzinstitute der Schweiz zusammengeschlossen, um einheitlich zu bedienende Bankomaten zu entwickeln. Neben CS und UBS sind auch Raiffeisen und alle Kantonalbanken mit dabei, grosse abwesende ist Post Finance. Ziel ist es, auf allen bestehenden Bankomaten eine gemeinsam entwickelte Software zu installieren, welche eine einheitliche Benutzerführung inklusive Sprachausgabe gewährleistet. Die Motivation der Banken ist dabei natürlich in erster Linie Kosteneinsparungen bei der Software-Entwicklung und im Unterhalt. Die Kunden profitieren von einheitlichen Abläufen, so dass beispielsweise ein Geldbezug unabhängig von der Bank immer die gleichen Dialoge anzeigt und die gleichen Eingaben erfordert. Zusätzlich sollen alle Geldautomaten über Sprachausgabe in verschiedenen Sprachen verfügen, so dass auch Blinde ohne Hilfe einen Barbezug machen können. Zudem werden einzelne Bankomaten tiefer gesetzt, so dass sie auch für Rollstuhlgängige erreichbar sind. Bis 2018 sollten 97% der Bankomaten auf das neue System umgestellt sein.

Im letzten Vortrag präsentierten Dr. Anton Bolfing und Andreas Uebelbacher von der Stiftung „Zugang für alle“ unter dem Titel „Interaktive und dynamische Websites barrierefrei umsetzen – Tipps aus der Praxis“ den am 20.3.2014 vom W3C verabschiedeten Standard Accessible Rich Internet Application“ (WAI-ARIA). Dabei geht es darum, moderne, interaktive Webseiten barrierefrei zu gestalten, bzw. mit den entsprechenden Massnahmen auch für alternative Browser zugänglich zu machen. Nicht zugänglich sind beispielsweise Untermenus, die nur aufklappen, wenn man den Mauspfeil an einer bestimmten Stelle platziert („Mouseover“). Dies ist nicht nur für Screenreader ein Problem, sondern beispielsweise auch für moderne Geräte mit Touchscreen, wie Tablets oder ein Windows 8 Rechner. Touch-Geräte haben keinen Mauspfeil, berührt man z.B. einen Menupunkt, so ist das ein Mausklick und kein Mouseover. Einmal mehr hilft es nicht nur behinderten Menschen, wenn man sich ein paar Gedanken zur Zugänglichkeit macht, sondern allen Besucherinnen und Besuchern.

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch ein kurzes, aber prägnantes Schlusswort von Professor em. Carl August Zehnder – von Prof. Dr. A. Darvishy als „Urgestein der Informatik“ bezeichnet. Ich hatte das grosse Vergnügen, mich kurz mit Herrn Prof. Zehnder zu unterhalten – man kann ihn für seine Verdienste, aber auch für seinen nach wie vor wachen Geist und scharfen Verstand nur bewundern …

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