Vierter Bericht von der Web-Konferenz WWW2010 in Raleigh, NC, USA
Heute stand wie schon am ersten Tag der Begriff „Sozial“ im Zentrum des Interesses, wenn auch in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Daneben wurde beispielsweise mit WebGL aber auch sehr Technisches geboten.
Die heutige Keynote wurde von einer Dame bestritten. danah boyd – ihr Name wird überall konsequent klein geschrieben, was mir natürlich sehr gefällt – behandelte das Thema „Privacy“. Sie rief die Forschergemeinde zur Zurückhaltung beim Gebrauch öffentlich zugänglicher Daten auf – allerdings gelten ihre Ausführungen meiner Meinung nach nicht nur für Forscher. Sie meinte, auch wenn Informationen öffentlich zugänglich sind, so heisst das noch lange nicht, dass man sie für jeden Zweck benutzen / missbrauchen darf. Es gibt auch ethische Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Dabei unterschied sie zwischen PII (personally identifiable information), also Daten, die Rückschlüsse auf eine bestimmte Person zulassen und PEI (personally embarrassing information), also Daten, welche eine Person in Verlegenheit bringen können. Sie bemängelte, dass Anwendungen wie Facebook die Privatsphäre nur ungenügend schützen, weil die Einstellungsmöglichkeiten zu kompliziert und die Voreinstellungen oft zuwenig restriktiv sind. Noch schlimmer sind Änderungen in den Policies, die dazu führen, dass vertrauliche Daten plötzlich öffentlich zugänglich sind. Sie rief zu Zurückhaltung bei der Verwendung von Informationen aus sozialen Netzwerken zu Forschungszwecken auf, weil sie oft aus dem Zusammenhang gerissen und falsch interpretiert würden. Wenn beispielsweise in einer Studie angenommen werde, dass einem die Person am nächsten stehe, mit der man am häufigsten Kontakt habe, so sei das Blödsinn. Sie hätte mit Ihren Arbeitskollegen zwar häufiger Kontakt als mit Ihrer Mutter, trotzdem stehe ihr ihre Mutter viel näher. Die Interpretation von Daten ist gerade bei sozialen Netzwerken äusserst heikel und muss daher mit grosser Vorsicht angegangen werden.
Nach dem Mittagessen wurden Anwendungen von WebGL gezeigt. WebGL ist ein Vorschlag (Working Draft), wie dreidimensionale Bilder in Webseiten integriert werden könnten. Basis dazu ist das in HTML 5 vorgeschlagene neue Element „Canvas“. Die Idee von WebGL ist, bewegte, programmgesteuerte 3D-Bilder in Webseiten integrieren zu können, ohne dass für die Darstellung ein externes Programm oder Plug-in nötig wäre. Damit könnte WebGL beispielsweise Flash ersetzen. Mehr zu HTML 5 morgen, dann werde ich mich voraussichtlich fast den ganzen Tag diesem neuen Standard widmen.
Ebenfalls sehr interessant war die Präsentation von SWAF (Spoken Web Application Framework). Dieses Framework dient der Erstellung einer Voice WebSite via Mobile Phone. In Ländern mit sehr schlechtem Internet-Zugang ist das Mobiltelefon häufig die einzige Möglichkeit zu kommunizieren. Eine Voice WebSite ist vergleichbar mit einem intelligenten Anrufbeantworter, mit welchem der Anrufende interagieren kann. Dem Anrufer werden Fragen gestellt, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können oder man kann aus einer Liste etwas auswählen. Basierend auf der Antwort des Anrufenden wird der Dialog entsprechend fortgesetzt. Da aber auch dem Ersteller der Voice Website kein Internet-Zugang zur Verfügung steht, wird auch die Voice WebSite selbst via Mobiltelefon erstellt. Dieser Vorgang wird durch das präsentierte Framework unterstützt bzw. erst ermöglicht.
Ein Höhepunkt der ganzen Konferenz war dann der „Social Event“ am Abend. Zwar fand ich das Essen nicht gerade berauschend, aber der Auftritt der Musikgruppe „Carolina Chocolate Drops“ war fantastisch. Die Band besteht aus zwei Männern und einer Frau und begeisterte mit modern gespielter traditioneller Musik aus dem gastgebenden Staat, vorgetragen mit grossem Können und erfrischendem Humor. Die Gruppe wird demnächst in Europa unterwegs sein – wer Gelegenheit haben sollte, einen Ihrer Auftritte zu besuchen, dem kann ich das nur wärmstens empfehlen.
Nach dem Konzert hatte ich Gelegenheit, mich mit zwei „Locals“ zu unterhalten. Raleigh ist mit 400’000 Einwohner ähnlich gross wie Zürich und eine stark aufstrebende Stadt. Mit Erstaunen nahm ich zur Kenntnis, das Credit Suisse hier eine Abteilung zur Software-Entwicklung mit über 1000 MitarbeiterInnen unterhält. Schade hat man uns um 2200 Uhr aus dem „Center for Performing Arts“ geschmissen, wird hat uns gerade sehr gut unterhalten …